IMMERSION UND AFFEKT

Virtual Reality ist ein technologisch generiertes Crossover zwischen Realität und Virtualität, zwischen Schein und Sein, Objekt und Abbild. Mehr noch als seinerzeit die Literatur oder dann das Kino wirken virtuelle Bildwelten immersiv-überwältigend. Wenn sie dann noch affektiv unterlegt sind, ist ihre Wirksamkeit nochmals gesteigert. Wo führt das alles hin?

Nicht zuletzt im Zuge der neuen, digitalen Simulationstechniken wie etwa dem 3D-Headset wurde Immersion als Konzept und Technik zu einem Hauptthema der gegenwärtigen Technologientwicklung. Immersion kann in diesem Zusammenhang als bislang wirkmächtigste Simulation des Wahrnehmungsprozesses gesehen werden. 3D-Headsetsimulationen erlauben interaktives Wahrnehmen und Handeln und werden zu Trainingszwecken etwa in den Bereichen der Chirurgie oder der Aviatik breit eingesetzt. Sie bieten aber auch vielfältige Einsatzmöglichkeiten in Computergames oder aber, weitaus weniger spassig, beim Militär. Es ist dabei gar nicht so leicht festzustellen, wo die Simulation aufhört und der blutige Ernst beginnt.

Eine erste Diskussionsrunde im Lokal ging der Frage nach, inwieweit sich mit den neuen immersiven Techniken affektive Stimulationen bewerkstelligen lassen. Stimulationen, die das Potential zu weitaus mächtigeren Manipulationen bereithalten, als man bisher unter diesem Titel diskutiert. Die Reihe wird fortgesetzt.

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Literatur:
Angerer, Marie-Luise    Affektökologie. Lüneburg: meson press 2017.

Yuval Noah Harari         Homo deus. Eine Geschichte von morgen.
                                         München: C.H. Beck 2020.

DER GESCHWEIFTE BLICK / MULTIPLE KAMERAPERSKEKTIVEN

Die digitalen Bildverfahren sind dem Wahrnehmungsprozess immer mehr auf der Spur. Neuronal zusammengesetzte (und erkannte) Bilder folgen nicht dem Paradigma der camera obscura. Sie sind multipel zusammengesetzt aus mehreren Perspektiven und mit Vorstellungsbildern verbunden. Digitale Bildgenerierung, sei sie nun fotografisch oder simuliert, bildet solche Prozesse nach und projiziert sie in neue Bildräume. Spannend!

Die camera obscura der Renaissance ist nicht nur Vorläuferin des Fotoapparates, sondern ebenso und wohl noch mehr Grundmodell der modernen Wahrnehmungsaugfassung geworden. Man sieht, wenn auch mit zwei Augen, was sich auf den Netzhaut optisch abbildet und dann neuronal verarbeitet  oder digital computiert wird. Soweit so gut, Was passiert aber, wenn wir den Kopf oder die Kamera schwenken und so ein zusammengesetztes Bild entsteht? Was neuronal im Gehirn dabei passiert, geschieht in den Regel automatisiert, d.h. von selber. Das Zusammenfügen von digitalen Bildern jedoch bereitet erhebliche Probleme. Das insbesondere dann, wenn über die Panoramaufnahme hinaus ein dreidimensionales Abbild hergestellt und dabei noch Bewegung simuliert werden soll. Wer je eine mehrdimensionale Bild-Projektion in einer Halbkugel erlebt hat, weiss um die Probleme.
In der Architekturfotografie hat sich der Konstanzer Fotograf Guido Kasper auf mehrperspektivische Aufnahmen spezialisiert.  Mit ihm besteht seit vielen Jahren ein reger Austausch über gegenwärtige Lösungen des Perspektivproblem und wie die Entwicklung weiter verlaufen könnte.

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Literatur:
Schmid, Kurt  Panoptikum oder das geschweifte Bild.
                         In: Kasper, Guido, Rebourgeon Dominique Der schweifende Blick.                           Konstanz
                          Architekturforum 2017.

MAX BURKHARDT UND DIE POSTKARTEN

Es gibt in Arbon eine einzigartige Künstlervilla, die  als Wohnhaus und Atelier von Max Burkhardt zwischen 1904 und 1910 im späten Jugendstil konzipiert und erbaut wurde. Sie ist viel zu wenig bekannt, wie man auch das photographische Werk Burkhards hierzulande übergeht. Nicht so Adolf Dietrich, der seinerzeit mehrere Photomotive von Postkarten Burkhardts in seine gemalte Bilderwelt integrierte. Das ist auch heute noch von Interesse.

Der Arboner Photograph und Dekorationsmaler Max Burkhardt (1876-1957) hat nach eigenen Entwürfen eine Künstlervilla gebaut und bis ins Detail der Innenräume ausgestaltet. Als die bürgerliche Dekorationsmalerei nicht mehr gefragt war, verlegte er sich auf die Photographie und gründete einen Postkartenverlag. So wurde er zum Dokumentaristen Arbons und der näheren sowie der touristisch erschlossenen weiteren Umgebung. Als ausgebildeter Entwerfer lag ihm aber ebenso ein bildgebende, gestalterische  Photographie am Herzen. Kein Wunder, dass der Berlinger Maler Adolf Dietrich von Burkhards Postkarten derart angetan war, dass er diese als Vorlage zu mehreren  seiner Bilder ausgewählte. Das Projekt besteht nun darin, den gestalterischen Teil der Burkhardtschen Pbotographie aufzuarbeiten und in den Zeitkontext zu stellen. Dazu wurde eine Sammlung von mehreren hundert Originalpostkarten (alle im Atelier hergestellte Handabzüge) angelegt, Dies erfolgt im Austausch mit der Denkmalpflegern Dr. Bettina Hedinger, die ihrerseits eine grosse Sammlung mit Schwerpunkt dokumentarische Photographie  gesammelt hat. Sie hat auch über Max Burkhardt publiziert.

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Literatur:
Hedinger, Bettina  Max Burkhardt. Vom Dekorationsmaler zum Fotografen.
                                 Frauenfeld: Huber 2010.

OH // FORTUNA . Aby Warburg im Kreuzlinger Belle-Vue 1921-1924

Man weiss, dass der Tänzer Nijinsky, der Maler Ernst Ludwig Kirchner und die Sängerin Marian Faithfull zeitweise in der Binswangerschen Klinik Bellevue therapiert wurden. Zwischen 1921 und 1924 war der Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg ebenfalls dort interniert. Er konnte sich weitgehend aus seiner psychischen Krankheit herauslösen und zählt heute zu den wichtigsten Autoren der Kulturwissenschaft überhaupt, Wie kam das?

Der Hamburger Kunsthistoriker und Mitbegründer der Kulturwissenschaft Aby Warburg (1866-1929) musste weitab von seiner Familie und seinem Arbeitsumfeld mehrere Jahre als Psyciatriepatient in der Kreuzlinger Heilanstalt Belle.Vue verbringen. Am 21.April  1923 hielt er nach langem Unterbruch erstmals wieder versuchsweise einen Vortrag über seinen esich in Neumexiko bei den Hopi-Indianern. Dieser sogenannte Kreuzlinger Vortrag wurde nach seinem Ableben unter dem Titel „Schlangenritual“ zuerst in englischer Sprache publiziert. Dieser Text sollte ihn weltweit bekannt machen.
2015 fand im Rahmen dieses Projekts in Konstanz eine grosse Ausstellung unter dem Titel „Oh//Fortuna. Aby Warburg im Kreuzlinger Bellevue 1921-1924) statt. Jetzt werden die dort gezeigten Dokumente und Materialien in Buchform aufgearbeitet.

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Literatur:
Warburg, Aby       Schlangenritual.
                               Berlin: Klaus Wagenbach 1988.
Marazia, Chantal, Stimilli, Davide (Hg.)
                                Ludwig Binswanger – Aby Warburg. Die unendliche Heilung.
                                Berlin: Diaphanes 2007.1

BILDRITUALE

Spätestens seit der Handyfotografie findet eine Bilderexplosion ungeahnten Ausmasses statt. So viel Bild war noch nie. Zu der Bildproduktion kommen die unüberschaubar vielen Distributionsmglcihkeiten und Techniken dazu, welche das Internet bieten. Niemand wird für sich behaupten können, hier den Überblick zu haben. Wir wagen trotzdem einige Thesen.

Mit der Bilderflut oder besser in der Bilderflut  geht die klassische Form der Bildlegende unter. Während lange Zeit einigermassen unbestritten war, dass die Bildlegende das Bild „erklärt“, geht dieser Glaube momentan verloren. Das Bild könnte je ein Fake sein, oder eines, das millionenfach reproduziert wird und so seine Wirkung entfaltet. Oder aber mehrere Bilder zum selben Geschehen zeigen, dass es die eine und gültige Sicht nicht gibt.
Wie sich also in der Bilderflut verhalten? Das Projekt geht von der These aus, dass BildRITUALE an die Stelle der Bildexplikationen getreten sind und zunehmend treten. Bildrituale bestehen nach dieser Auffassung in einer gestisch-symbolischen Reaktion auf ausgewählte Bilder. Man setzt ein Like, findet gewisse Bilder cool oder setzt sie gar als Tatoo auf die Haut. Das alles muss schnellt gehen, denn dien nächsten Bilder stehen bereits an. Es gibt Bilderkennungs- Bildverarbeitungs und Bildvarbschiedungsrituale – und entsprechende Algorithmen, welche dies automatisiert übernehmen: Trenderkennung, Pushen, Löschen. Das Projekt geht nun der Frage nach, wie sich persänlich-individuelle Bildcodierungen ritueller Art zu systemisch wirkenden Bildalgorithmen verhalten.

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Literatur:
Schmid, Kurt        Was sind Bildrituale?
                               (unveröffentlicht, siehe Archiv)